„Die Stillen in der Schule“ – 2: Introversion/Schüchternheit – Zwei Paar „Psycho-Stiefel“

Liebe Schülerinnen und Schüler,

zwei Jungen stehen bei einer Party am Rand der Tanzfläche. Der eine ist introvertiert, der andere schüchtern. Auf den ersten Blick kein Unterschied, doch in ihnen sieht es komplett anders aus. Der Introvertierte verschafft sich in sicherer Distanz einen Überblick und fühlt sich gut dabei. Der Schüchterne würde gerne tanzen, beneidet die anderen und ist über sich unglücklich. Der psychologische Unterschied ist schnell erklärt: Introversion ist eine Persönlichkeitseigenschaft, also angeboren und kaum änderbar, Schüchternheit ist anerzogen oder erworben und sehr wohl änderbar.

Der Introvertierte kann sehr gut allein sein, im Gegenteil – er braucht es sogar. Das Trubelige einer Party macht ihn einfach fertig, so schön sie auch ist. Er hat null Probleme, die nächste Party ausfallen zu lassen und dafür ein Buch zu lesen oder konzentriert eine Aufgabe anzupacken, in der er ganz aufgeht, also den Flow erlebt. Das ist beim Schüchternen ganz anders: Er betrachtet sich als „Mängelwesen“ und denkt ständig daran, was die anderen wohl von ihm halten. In gnadenloser Selbstbeobachtung verzeiht er sich nicht den kleinsten Fehler und grübelt über ihn noch Stunden nach der Party. Versagensängste lähmen ihn und soziale Kontakte sind angstbesetzt. Und der Introvertierte: Er sorgt dafür, erfolgreich zu sein! Ein Referat wird perfekt vorbereitet, der Raum vorher genau in Augenschein genommen und verschiedene Eventualitäten durchgespielt. Empfänge machen ihm keine Angst, er geht strategisch vor. Zunächst in aller Ruhe den Überblick und dann zielgenaues Vorgehen, entweder Bekannte oder bewusstes Kennenlernen einer wichtigen Kontaktperson, über die er vorher gegoogelt hat, um entsprechende Informationen für sein Gespräch zu haben. Ist der Introvertierte in einer vertrauten oder für ihn abgesicherten Situation, wird er zum Siegertyp und erreicht sein Ziel.

Da nur der Schüchterne letztendlich änderbar ist – und hier kann die Schule viel erreichen – möchte ich ihn an zwei eindrücklichen Erlebnissen aus meinem „Psychologie“-Unterricht in den Mittelpunkt stellen:

„Psychologie Heute“, 07/2023, S. 94

Eine Schülerin hatte irre Angst vor Präsentationen. In „Psychologie“ waren zwei ein absolutes Muss, und das wusste sie. Ich zitiere sie schnell – ein Jahr später, zurück von ihrem Australienaufenthalt. Sie kam in meinen Unterrichtsraum, umarmte mich und sagte: „Ihnen verdanke ich so viel! Beim ersten Referat hatte ich dreimal davor gekotzt. Beim zweiten nur einmal. Und dann habe ich in Australien eine Präsentation auf Englisch gehalten und es war total ‚easy‘!“ Sie hatte sich bewusst dem gestellt, was sie extrem fürchtete, sie blieb dran, trainierte sich ihre Angst weg und wurde erfolgreich. Sie powert jetzt in der Industrie und ist von ihrer Aufgabe total begeistert. Ich traf sie vor kurzem am Corona-Testzentrum, sie strahlte mir in ihrer anpackenden Lebensfreude entgegen, wir unterhielten uns beim Warten.

Das zweite Beispiel ist heftiger: Ein Junge, der extrem schüchtern rüberkam, hielt sein Referat und wollte es erneut vor der Kamera aufnehmen lassen. Er sollte so beginnen: „Hallo, mein Name ist …“ Er packte es nicht. Also Neustart: „- Haaaaalo“, erneuter Abbruch. So ging es weiter. Die Klassenkameraden umringten ihn, redeten ihm gut zu, klopften ihm auf die Schulter, aber gaben nicht auf – nur das „Hallo“ wurde geändert. Beim fünften Start sagte er: „Grüß Gott, mein Name…“ und hielt nochmals recht gut sein Referat. Und hier beginnt unser Erlebnis: Einige Wochen später kam eine Psychologin in unseren Unterricht und referierte zu verschiedenen Themen und wollte auch das Thema des Schülers kurz umreißen. Seine Hand ging hoch, er wolle es erklären! Wir waren sprachlos. Die Kamera lief, die Psychologin stutzte, gab ihr Mikrofon dem Schüler. Er stellte sich neben sie, sodass er gut in der Kamera war und stellte den psychologischen Sachverhalt glasklar und rhetorisch gewandt dar. Die Psychologin war beeindruckt, wir von den Socken. Wir konnten es einfach nicht fassen. Er hatte sich der Video-Herausforderung bewusst gestellt, wir hatten nicht lockergelassen, bis es klappte, und dies schenkte ihm die Sicherheit, frei vor Kamera und Psychologin zu sprechen. In unserer „Psychologie-Runde“ haben wir die Verwandlung eines Menschen erlebt, wir, besonders aber er, werden das nie vergessen!

Schüchterne, stellt euch der Herausforderung, geht durch das hindurch, was euch Angst macht, sucht, so oft es geht, das auf, wovor ihr euch fürchtet! Besiegt die Angst, schüttelt die Schüchternheit von euch ab und werdet frei – frei zur starken Persönlichkeit, die um ihre Stärke weiß, sich vertraut, aber auch Rückschläge locker wegsteckt.

Eingelesen auf YouTube (10 Min.): https://www.youtube.com/watch?v=UAa1wxz7914  

Visualisierte Kopiervorlage mit Fotostory

„Ich bin nicht langweilig – ich bin nur schüchtern“: https://www.klausschenck.de/ks/downloads/g22-ha-schuechternchantallarissa.pdf

„Die Stillen in der Schule – Introversion“

Artikel-Brief-Reihe: Manuskript und Link auf YouTube

  1. „Vom Glück der Introversion“: Manuskript: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/f05-1-introversion-schueler-1-glueck-kopf-plak.pdf  und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=HhRs9Qe_zCE   
  2. „Introversion/Schüchternheit – Zwei Paar ‚Psycho-Stiefel‘“: Manuskript: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/f05-2-introversion-schueler-2-schuechternheit-.pdf  und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=UAa1wxz7914  
  3. „Introversion – Vom Kind zum Lehrer“: Manuskript: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/f05-3-introversion-schueler-3-lehrer-neu-kopf-.pdf  und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=xCkNe0SP7O4  
  4. „Introversion – unsere Stärken“: Manuskript: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/f05-4-introversion-schueler-4-staerken-kopf.pdf  und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=afB4xyvfNOw
  5. „Introversion – In der Schule – Tipps“: Manuskript: http://www.klausschenck.de/ks/downloads/f05-5-introversion-schueler-5-schultipps-kopf-.pdf  und auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=UeauKeqwuAM

Zur Vertiefung für Interessierte:

„Psychologie Heute“, 2024/04, S. 94: Leserbriefe

Materialien für Schule und Deutsch-Abitur

Aktuell: „Psychologie-Tipps für die Schule“, neurologisch-psychologische Forschungsergebnisse in Blick auf Handys und soziale Medien: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/alle-vorsaetze-sind-fuer-den-arsch-wenn-man-sich-nicht-daran-haelt/

In einer Datei: alle Links zur Deutsch-Abi-Lektüre der letzten zwanzig Jahre bis heute und zu den wichtigsten Abi-Aufsatzarten (Stand 2018): https://www.klausschenck.de/ks/downloads/f32-06-anhang-literatur-1-neu-2023-11.pdf

Abi-Präsentationsprüfungen auf YouTube – alphabetisch nach Fächern geordnet plus eine Fülle an realisierten und ausgefallenen Präsentationsideen – erklärt und gezeigt an Referatsfotos: https://www.klausschenck.de/ks/praesentationen/abi-praesentationen/index.html

Allgemeine Abitur-Tipps: https://www.klausschenck.de/ks/deutsch/klassenarbeiten/geziele-abitur-hilfen-in-corona-einsamkeit/index.html 

Artikel-Serie: „Die Stillen in der Schule“ – Schüchternheit/Introversion: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/die-stillen-in-der-schule-1-vom-glueck-der-introversion/

Artikel-Serie (22 Artikel): „Schülerzeitungsermutigung“ – Rückblick auf über zehn Jahre: https://www.schuelerzeitung-tbb.de/redaktionsgroesse-zwei-pizza-regel/

Klaus Schenck, OSR. a.D.
Fächer: Deutsch, Religion, Psychologie
Drei Internet-Kanäle:
Schul-Material: www.KlausSchenck.de
Schüler-Artikel: www.schuelerzeitung-tbb.de
Schul-Sendungen: www.youtube.com/user/financialtaime
Trailer: Auf YouTube ansehen
„Vom Engagement-Lehrer zum Lehrer-Zombie“/Bange-Verlag 2020:
Info-Flyer: Download

Über den Autor

Klaus Schenck unterrichtete die Fächer "Deutsch", "Religion" und "Psychologie". Er hatte 2003/04 die Schülerzeitung "Financial T('a)ime" (FT) zunächst als Printausgabe ins Leben gerufen, dann 2008 die FT-Homepage, zwei Jahre später die FT-Sendungen auf YouTube (www.youtube.com/user/financialtaime) , zusätzlich ist noch seine Deutsch-Homepage (www.KlausSchenck.de) integriert, sodass dieses "Gesamtpaket" bis heute täglich auf rund 1.500 User kommt. Mit der "FT-Abi-Plattform" wurde ab 2014 das Profil für Oberstufen-Material - über die Schülerzeitung hinaus - geschärft, ab August 2016 ist wieder alles in einer Hand, wobei Klaus Schenck weiterhin die Gewichtung auf Schulmaterial beibehält und die Internet-Schülerzeitung (FT-Internet) bewusst auch für andere Interessierte öffnet.

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