Tauberbischofsheim – die missachtete Heimat

Von der Tauber an den Euphrat, über zweieinhalb Tausend Jahre zurück, wir auf unserem Marktplatz im Verdi-Land: Verzaubert von der Musik, gefesselt von den Stimmen, in Ausdrucksstärke, Mimik und Kostümwelt in die Ferne entführt, um im Gefangenenchor so viel Gegenwärtiges zu spüren. Verona und Tauberbischofsheim für zwei „Nabucco“-Stunden verschwistert! Dank an die Stadt, Dank an die Organisatoren und Dank an die Prager Musiker!

Noch in innerer Begeisterung über das musikalische „Nabucco“-Erlebnis auf dem Marktplatz von Tauberbischofsheim aß ich nach der Aufführung mein „Gernert“-Steak. Aus dieser Rückseiten-Perspektive war noch ein deutlicher Teil des Platzes als nicht bestuhlt sichtbar. Die Aufführung war großartig, aber viele Tauberbischofsheimer fehlten.

Ich erinnerte mich an das Gedicht von Gottfried Benn: „Reisen“, 1950: „Meinen Sie Zürich zum Beispiel sei eine tiefere Stadt, wo man Wunder und Weihen immer als Inhalt hat? …“ Warum diese Missachtung unserer Heimatstadt durch seine Bewohner bei gleichzeitiger Hochschätzung all dessen, wo wir nicht leben – Würzburg, Stuttgart, München oder eben Zürich? „Was kann schon aus Nazareth Gutes kommen?“, heißt es in der Bibel, was kann schon kulturell Interessantes in „Tauber“ geschehen, scheinen sich viele hier zu fragen.

Dass ich ein Abonnement für die „Badische Landesbühne“ vor Ort habe, muss ich immer wieder erklären, hätte ich eines für Stuttgart oder München, wäre eine Erklärung überflüssig. Und dass wir bei den „Schlosskonzerten“ teilweise Weltstars im Rathaussaal ganz nah musizieren hören und die Akustik hier besser als in der Residenz Würzburg ist, darüber informierte mich Peter Leicht, der Organisator der „Schlosskonzerte“.

Wir haben hier so viel Kulturelles, wir haben hier so viel Lebensqualität, aber wir haben keine Augen weder für das eine noch das andere. Wir sehen nur die Kirschen in Nachbars Garten, aber die vollen Kirschbäume in unserem, die sehen wir nicht. Es wird kritisiert, gemotzt, geschimpft, was das Zeug hält, so war es, als ich nach „Tauber“ kam, und so ist es noch immer. In mehreren Geschäften wurde ich damals gefragt, wieso ich aus der Stuttgarter Region ausgerechnet nach „Tauber“ komme. Eine Stadt, die sich selbst so wenig liebt, kann kein liebenswerter Ort sein – so meine damalige Logik. „Badisch-Sibirien“ als verinnerlichte Lebenssicht, auch diese hat sich bis heute nicht geändert.

Mein Vorschlag: In regelmäßigen Abständen sollten Tauberbischofsheimer, die alteingesessenen zuerst, von Touristen aus ganz Deutschland durch „Tauber“ und die Region geführt werden. Die Touristen würden von so vielem schwärmen, uns erzählen, was sie alles nicht bei sich zu Hause haben, was sie so toll bei uns finden, warum sie Jahr für Jahr wiederkommen, warum es ein „Gottesgeschenk“ sei, hier leben und arbeiten zu dürfen. Sie würden uns staunen lassen über das, woran wir täglich blind vorbei stapfen, sie würden uns zeigen, was sie weder in Würzburg noch in Stuttgart finden und weswegen sie aus Hamburg und München genau hierher kommen. Und als meine Schwester aus Zürich mit mir bei einem „Schlosskonzert“ war, beneidete sie mich ob meiner musikalischen Möglichkeiten direkt vor der „Haustür“.

Was würden uns die Touristen lehren? Dankbarkeit! Dankbarkeit für so vieles, Dankbarkeit für Tauberbischofsheim, Dankbarkeit für all die Möglichkeiten, die wir hier haben. Es gliche einer biblischen Blindenheilung! Ob ich daran glaube? Natürlich – ich bin doch Theologe!

Artikel und Fotos: Klaus Schenck

Leserbrief: „Fränkische Nachrichten“/Tauberbischofsheim, 30.07.2024, S. 7

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Über den Autor

Klaus Schenck unterrichtete die Fächer "Deutsch", "Religion" und "Psychologie". Er hatte 2003/04 die Schülerzeitung "Financial T('a)ime" (FT) zunächst als Printausgabe ins Leben gerufen, dann 2008 die FT-Homepage, zwei Jahre später die FT-Sendungen auf YouTube (www.youtube.com/user/financialtaime) , zusätzlich ist noch seine Deutsch-Homepage (www.KlausSchenck.de) integriert, sodass dieses "Gesamtpaket" bis heute täglich auf rund 1.500 User kommt. Mit der "FT-Abi-Plattform" wurde ab 2014 das Profil für Oberstufen-Material - über die Schülerzeitung hinaus - geschärft, ab August 2016 ist wieder alles in einer Hand, wobei Klaus Schenck weiterhin die Gewichtung auf Schulmaterial beibehält und die Internet-Schülerzeitung (FT-Internet) bewusst auch für andere Interessierte öffnet.

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